Sonntag, 29. Januar 2012

Konstantinopels versunkener Hafen

Topografische Karte Konstantinopels während des byzantinischen Zeitraums.
Auf der südlichen Seite hin zum Marmarameer kann man auf dieser Karte
den antiken bzw. mittelalterlichen Hafen sehen.
Quelle: R. Janin, Constantinople Byzantine. Developpement urbain et repertoire topographique.
Straßennetz und andere Einzelheiten basieren auf
 Dumbarton Oaks Papers 54. Kirchen, insb. nicht identifizierte und ausgegrabene Bauten
sind aus dem The Byzantine Churches of Istanbul entnommen.
Andere herausgegebenen Quellen wurden behilfsmäßig gebraucht.
Heute keine Lust auf Tatort und Co.?
Dann schaut euch mal online diese interessante Dokumentation an:

Konstantinopels versunkener Hafen

Mitten im modernen Istanbul hat ein gigantisches Bauprojekt begonnen, das die chronischen Verkehrsprobleme der überbevölkerten größten Metropole der Türkei lösen soll. Geplant sind ein Tunnel unter dem Bosporus und - tief in den Grundfesten der Stadt - ein Umsteigebahnhof zwischen Bahn und Metro. Von der über 3.000-jährigen Vergangenheit Istanbuls - einst hieß die Stadt Konstantinopel und vormals Byzanz - sind nur relativ wenige Spuren erhalten.
Doch bei Aushubarbeiten für das Tunnelprojekt, die weitab vom Bosporus-Ufer begannen, legten Bauarbeiter 37 Schiffe samt Ladung frei, die durch eine Lehmschicht geschützt und dadurch hervorragend erhalten waren. Bei dem wertvollen Fund handelt es sich um Teile des versunkenen Hafens, der unter Kaiser Theodosius II. gebaut und vom fünften bis zum zehnten Jahrhundert genutzt worden war. Aus der Baustelle wurde eine mehr als fünf Hektar große Unterwasser-Grabungsstätte, die unter anderem Aufschluss über Ausdehnung und Untergang des Hafens von Konstantinopel geben soll.

Donnerstag, 5. Januar 2012

Assassin's Creed Revelations - Hintergrundgeschichten - Konstantins-Säule, Çemberlitaş, Kleine Hagia Sophia

Eines der Highlights von Assassin's Creed Revelations: Man klettert in der
berühmten Hagia Sophia herum

Wenn ein Blog sich sehr mit der osmanischen Geschichte auseinandersetzt, dann ist es natürlich naheliegend, sich mal das neueste Computerspiel Assassin's Creed Revelations unter historischen Aspekten genauer anzuschauen.
Dieses möchte ich hiermit in einer losen Folge von Postings tun, mit dem Schwerpunkt auf einige der Gebäude die im Spiel vorkommen.
Wie werden diese im Spiel dargestellt, wie sehen sie in Wirklichkeit aus, gibt es etwas interessantes über sie zu erzählen? Ich vergleiche also die Computergrafik der Gebäude im Spiel mit der Realität.

Wie sieht es überhaupt mit der Historizität im Spiel aus? Also könnte man das Spiel im Geschichtsunterricht eventuell nutzen um sein historisches Wissen zu mehren, oder ist zuviel einfach ausgedacht oder verfälscht, oder wichtiges weggelassen, so dass ein schiefer und historisch unkorrekter Eindruck entsteht?
Auf letzteres werde ich im Übrigen nur kurz eingehen.
Bei den Beschreibungen der Gebäude werde ich auf die Wikipedia in dem Fall zurückgreifen, wo deren Artikel einigermaßen korrekt sind, oder die Teile herausnehmen, die mit meiner Sekundärliteratur übereinstimmen.

Zuerst allgemeine Anmerkungen zum Spiel:
Ja, jeder, der sich für das Osmanische Reich, für die Türkei, für Istanbul interessiert, kann beruhigt zu diesem Spiel greifen, oder zumindest für ein Wochenende ausleihen. Es lässt sich relativ leicht, sogar auch als Anfänger, durchspielen. Ein Vorteil und Manko zugleich. Wenn man schon die drei Vorgänger gespielt hat, oder überhaupt mit dieser Art Computerspiel ein klein wenig vertraut ist, der empfindet den Schwierigkeitsgrad mitunter als zu leicht.

Nie wurde Istanbul detailgetreuer, liebevoller, lebendiger dargestellt.
(Zumindest kenne ich kein Computerspiel, kennt ihr eines? Bitte dann ggf. den Kommentarbereich nutzen.) Für Geschichtsinteressierte gibt es hier sogar das alte historische Konstantinopel, oder besser gesagt Ḳusṭanṭīniyye zu entdecken, wie der osmanische Name hieß (und im Spiel doch tatsächlich auch so manchmal genannt wird). Jedoch war Istanbul schon zu Zeiten der Seldschuken im 13. Jahrhundert unter diesem Namen Istanbul unter Einheimischen (also Byzantinern) bekannt.
Auf den Namen geht auch das Spiel kurz ein, indem es behauptet, es wäre nach der Eroberung unter der muslimischen oder türkischen oder osmanischen Bevölkerung (weiß nicht mehr genau, welche Bezeichnung sie verwendeten) als Istanbul bekannt. Das ist natürlich Quatsch, denn alle Istanbuler, ob griechischsprachig, armenischsprachig, turksprachig, usw. benutzten damals das Wort Istanbul (oder ungefähr "Eis tin polin") gleichermaßen, stolz und ganz selbstverständlich. Offiziell blieb der Stadtname hingegen neben vielen weiteren Namen Ḳusṭanṭīniyye, und auch Istanbul wurde unter anderem in diversen Abwandlungen in offiziellen Dokumenten verwendet. Oh, nun sind wir auch schon mitten in der Geschichte einer meiner Lieblingsstädte, neben Venedig, Rom, Hamburg, Kathmandu, usw. Und ihr ahnt schon, dass im Spiel und den Beschreibungstexten des Spieles viel zu viele Ungenauigkeiten, offenkundige Fehler, Stereotypen enthalten sind, neben ganz frei erfundenen Dingen, die natürlich diesem Spiel auch zuzugestehen sind, immerhin wird darauf auch explizit in der Einleitung des Spieles hingewiesen, sozusagen inspired by a true story.

Bevor ich zu einigen Fehlern komme, noch zuvor einige positive Dinge:
Das Spiel bringt Spaß. Das ist wohl eines der wichtigsten Dinge. Die Szenerie ist toll (trotz aller Fehler), erinnert mich ein wenig an James Bond: Liebesgrüße aus Moskau, aber mit wesentlich größeren Detailreichtum, Bewegungsfreiheit, und dem historischen Setting.
In dem ganzen Spiel wurde versucht, die Osmanen nicht mehr wie in so vielen, vielen Computerspielen als "Barbaren" oder zumindest blutrünstige Feinde (während bei den christlichen Mächten in den PC-Spieltexten kaum deren ebenso blutigen Kriege Erwähnung fanden) darzustellen. Sie wurden ein wenig "fairer" dargestellt, wenn sich auch etliche Klischees einschlichen. Es wurden auch positive Ereignisse oder Eigenschaften der Osmanen erwähnt. Insgesamt kommt das Osmanische Reich also durchaus positiv weg. Vor allem wird der Eindruck vermittelt, die unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen, das "Multikulti" in Istanbul wäre etwas positives. Das Blog Oeffinger Freidenker hat dazu auch eine sehr schöne Review und Gedanken über das Spiel geschrieben.
Dennoch, wie ich oben bereits andeutete, am besten merkt man sich die Texte, seien sie nun eher positiver oder negativer Natur erst gar nicht, sondern liest stattdessen eines der kleinen Bücher in meinen Buchtipps oben. Denn es finden sich doch zu viele Fehler darin, so dass es für einen Unterricht, oder zur Bildung von historischem Basiswissen doch recht ungeeignet ist. Denn viele der in den Texten erwähnten Klischees bekommt man dann doch hinterher erst schwer wieder heraus, wie ich immer wieder in Diskussionen im Internet feststellen musste, wo manchmal eher auf Vorstellungen von Age of Empires, Total War, Europa Universalis, usw. zurückgegriffen wurde, als auf Fachliteratur, die ich in Diskussionen einbrachte.

Um einen ersten Eindruck von der liebevoll gestalteten Szenerie zu bekommen, schaut euch bitte diese Video an, wo der junge Prinz, der spätere Sultan, Süleyman euch kurz durch die Stadt führt:



Es gibt so einige Fehler, wo ich nicht nachvollziehen kann, wie die Verantwortlichen sie zulassen konnten, denn sie wären leicht vermeidbar. Dazu braucht man auch nicht unbedingt ein studierter Türkei-Experte oder ähnliches sein. Zum Beispiel verstehe ich nicht, warum die Sonne im Spiel nicht am Südhimmel verläuft, sondern am Nordhimmel ihre Bahnen zieht. Immerhin geht sie im Osten auf...
Dadurch erhalten natürlich auch die Gebäude eine Beleuchtung, die man so noch nie gesehen hat. Interessant.... :-)

Ich habe mal ein Making-of-Video gesehen, wo die Produzenten berichten, wie sie in zwei Wochen etliche Foto- und Filmaufnahmen von Istanbul machten, um sich auch vor Ort ein besseres Bild der Stadt machen zu können. Im nächsten Teil werde ich dieses längere Video mal vorstellen. Aufgrund dessen, kann ich es ehrlich gesagt kaum nachvollziehen, wie sich dennoch solch auffällige Fehler, die einem das ganze Spiel über begleiten und die ich hier in loser Postingfolge noch manchmal erwähnen werde, passieren konnten.
Hier ein etwas kürzeres Making-of-Video, was zeigt, dass auch wenn man türkischer Herkunft ist, dass keinesfalls bedeutet, dass dadurch automatisch mehr Expertentum in die Entwicklung des Spieles einfließen muss.




Ebenso bleibt ein Geheimnis, warum die Kirchen nicht "geostet", also nach Osten hin ausgerichtet sind, wie die meisten byzantinischen Kirchen in Istanbul es damals wie heute sind und waren. So sind alle Kirchen im Spiel, wie auch die Moscheen nach Südosten, nach Mekka hin ausgerichtet. Ich würde es verstehen, wenn das Strassennetz ebenso danach ausgerichtet wäre, ist es aber nicht. Es ist eher recht durcheinander, was sehr gut ein Gefühl für ein orientalisches Strassennetz vermittelt.
Die oben von innen abgebildete Hagia Sophia steht demnach auch zu schräg.

Was ich auch schade finde, ist, dass die Minarette allgemein unproportional dargestellt wurden, obwohl sie sich bei deren Nah-Design offensichtlich viel Mühe gegeben haben - z.B. mit dem Mukarnas und Stalaktitensteinmustern unterhalb der Balkone. Mit unproportional meine ich besonders die für die Fernwirkung wichtige Lage der Balkone. Diese sind meistens zu weit oben angebracht, und auch zu dick, breit, gestaltet. Auch sind viele Minarette zu hoch, so dass das harmonische Zusammenspiel von Kuppeln und Minarette im Stadtbild gestört wird. Schade, dieses hätte man leicht vermeiden können, wenn die Designer nicht so mangelnde Kenntnisse gehabt hätten.

Die Hagia Sophia - hier mit überlagertem Grundgerüst der PC-Grafik.
Leider mit viel zu weit westlich vorgelagerten Minaretten,
so dass die typische Silhouette doch arg gestört wird. Unnötig.
Was ich noch eigentlich sehr nett fand, aber letztlich doch störend war, ist, wenn der Muezzin-Ruf zum Gebet in der Stadt ertönt, z.B. bei Sonnenaufgang. Diesen hört man jedoch eher, wenn man sich erhöht über der Stadt befindet, auf einem Minarett, Turm, Dach oder so. Dann murmeln die Geräusche der Stadt zu dir hoch, und bei bestimmten Tageszeiten eben auch der Ruf der Dutzenden Muezzins, der Gebetsrufer. Nur: Hier haben die Spieleentwickler Aufnahmen des heutigen Istanbuls verwendet, und da rufen alle Muezzins mittels Mikrofonanlage, Lautsprecher und Verstärker zum Gebet. Also hört man im Istanbul des 16. Jahrhundert in diesem Spiel die Technik des 20./21. Jahrhunderts, was schon etwas merkwürdig 'rüberkommt.
Ebenso sehen zwar die zahlreichen Palmen im Spiel ganz nett aus, wachsen aber eher nicht in Istanbul. Diejenigen wenigen Palmen die heute zu sehen sind, wurden erst aufgrund des Tourismus eingepflanzt und gehen auch recht häufig im Schnee eines Istanbuler Winters ein und müssen ersetzt werden. Warum also im Spiel nicht mehr Kastanien oder Platanen, die in Istanbul häufig wachsen? Weil es dann nicht so "orientalisch" aussieht?
Naja, ich breche hier mal ab, in den nächsten Postings kommen wir wahrscheinlich zu mehr Ungereimtheiten oder Fehlern, die vermeidbar gewesen wären, hätten sie nur mal einen Turkologiestudenten, oder Kunstgeschichtsstudenten mit Schwerpunkt islamische Kunst oder einen echten Istanbulkenner vorher befragt.

Kommen wir nun zu zwei interessanten Sehenswürdigkeiten und markanten Baudenkmälern Istanbuls:

Konstantins-Säule, Çemberlitaş, Verbrannte Säule, Umgürtete Säule

Konstantins-Säule auf einer alten Postkarte, rechts davor
die abgeschnittene Kuppel des türkischen Bades Çemberlitaş-Hamam,
hinter der Säule, eine der ältesten Moscheender Stadt,
die Atik Ali Paşa Moschee


All diese Namen sind für ein Baudenkmal gebräuchlich, welches noch aus einer Zeit stammt, als Konstantinopel mitunter noch Nova Roma hieß.

Die bekannteste der großen Triumph- und Denkmalsäulen der Stadt, die Konstantin der Große im Zentrum seines großen Forums 328 errichten ließ, ist leider nur in stark veränderter und rudimentärer Form erhalten. Der verwitterte Porphyr der Säulentrommeln erforderte im Laufe der Zeit immer wieder neue Bänder und Manschetten, das erstemal bereits 418 unter Kaiser Theodosios II. Ein Sturm des Jahres 1105/06 fällte schließlich die Statue des Kaisers von ihrer Höhe samt dem Kapitell und 3 der urspr. wohl 10 Porphyrtrommeln. Unter Manuel Komnenos (1143-80) erhielt die Säule einen neuen oberen Abschluß mit der heute noch vorhandenen Kleinquadermauerung. Der zweite Vers der Erneuerungsinschrift nennt Manuel, das ist noch erkennbar. 1779 ließ Sultan Abdülhamit I. nach einem Brand den Säulenunterteil vermauern.
Die Gesamthöhe der Säule beträgt heute ca. 34,80 m. Als urspr. Höhe nimmt man ca. 50 m (= ca. 175 röm. Fuß) an. Da der untere Teil mit der barocken, knollenartigen Basis rd. 10 m hoch mit Quadern ummauert ist, sind vom alten Denkmal nur noch 6 Porphyrtrommeln mit den angearbeiteten Lorbeerkränzen sichtbar. - Grabungen in den Jahren 1929/30 haben über den Unterbau etwas Klarheit gebracht: Das Pflaster des Forums wurde in 2,33 m Tiefe gefunden. Die Säule steht auf einem großen Marmorsockel, der seinerseits wieder auf 6 Stufen ruht. Dieser Stufenunterbau und damit die gesamte Säule ist jedoch noch einmal von einer Gewölbesubstruktion in 4,60 m Tiefe unterfangen, in der man die aus Quellen bekannte Konstantins Kapelle erkennen möchte.
Hier war wohl auch der Platz der überlieferten Reliquien: des Palladiums Troias, das Aeneas nach Rom gebracht haben soll, eines Stückes der Arche Noahs, des Steines, aus dem Moses Wasser schlug, der 12 Körbe des Brotwunders Christi, der Kreuze der Schächer und des heiligen Salbgefäßes. Bereits in dieser seltsamen Zusammenstellung der Reliquien zeigt sich der Synkretismus Konstantins, noch deutlicher in der Statue, die die Säule bis in den Beginn des 12 Jh. krönte: Der Kaiser ließ sich als Apoll mit der Strahlenkrone darstellen in Analogie zu seinen Münzprägungen mit der Devise »Sol invictus« (= der unbesiegte Sonnengott). Die Tradition behauptet, in die Strahlen seien die Kreuznägel Christi eingearbeitet worden und der Globus habe ein Kreuz getragen; auch soll die Statue eine Reliquie des wahren Kreuzes enthalten haben. Doch könnte dies bereits auf eine Ersatzstatue des Kaisers bezogen werden.
aus: Marcel Restle: Istanbul. Bursa. Edirne. Iznik. Stuttgart 1976. (Reclams Kunstführer) Übrigens ein sehr gutes Buch.

Dienstag, 3. Januar 2012

Debatte um den Islam - Wer bestimmt, was Muslime glauben?


Heute möchte ich auf eine interessante Probeausgabe (3/2010) der Zeitschrift zenith aufmerksam machen. Diese Zeitschrift beobachte ich schon länger, bietet sie doch mit die kenntnisreichsten Reportagen, Analysen, Hintergrundinformationen über den Nahen Osten in der deutschen Medienlandschaft. Abgesehen von Fachzeitschriften wissenschaftlicher Einrichtungen, deren Zielpublikum mitunter auch ein anderes ist. Und dieses uns übermittelte differenzierte und abseits von Tagesaktualität oft hervorragend tiefgründige Bild des Nahen Ostens kommt nicht von ungefähr: Sind doch die Redakteure Orientalisten oder angehende Orientalisten, meistens Islamwissenschaftler. Ihre im Studium erlernten Tugenden der genauen Recherche, der fundierten Quellensuche, des Blickes unter die Oberfläche, des komplexen differenzierendem Denken, der Betrachtung aus mehreren Blickwinkeln, und nicht zuletzt durch Auslandsaufenthalte erlernte soziale Kompetenz und Empathiefähigkeit, merkt man den meisten Artikeln an. Das bedeutet natürlich nicht, dass deren Qualität nicht auch schwanken kann. Doch meistens bieten die Artikel von zenith einen echten Mehrwert, verglichen mit anderen Medien, sofern dort nicht auch Orientalisten als Autoren beschäftigt sind.

Sie selbst beschreiben sich folgendermaßen:
zenith – Zeitschrift für den Orient ist das führende deutsche Magazin zum Nahen Osten, dem Maghreb und der muslimischen Welt. Kritisch, ausgewogen und kenntnisreich – diese Ansprüche stellt zenith an die eigene Berichterstattung.

Ein weltweites Netzwerk aus Autoren, Reportern und Fotografen zwischen Marokko, Israel, Iran und Indonesien, aber auch viele Korrespondenten in Europa wirken daran mit. Das Interesse an einer qualifizierten Orient-Berichterstattung ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Viele Medien konzentrieren sich jedoch vor allem auf Krisen und bewaffnete Konflikte: zenith ist vor Ort, bevor es knallt, und bleibt, wenn sich das Tränengas verzogen hat, um neben der großen Politik auch den Alltag der Menschen zu begleiten.

Um ein differenziertes Bild dieser Region zu vermitteln, gründeten 1999 in Hamburg sechs Studenten der Orientalistik das Magazin zenith, das inzwischen einen festen Platz am deutschen Zeitschriftenmarkt hat.

Neben Analysen, Hintergrundberichten und Top-Interviews bietet zenith starke, preisgekrönte Foto-Reportagen und Illustrationen. Die Schwerpunkt-Dossiers des Magazins beleuchten Themen des Zeitgeschehens auf unkonventionelle Art und Weise. Entscheidend für die Autoren ist die richtige Mischung aus journalistischer Aufbereitung und fachlicher Expertise. zenith versteht sich als Gradmesser für politische und soziale Entwicklung im Orient: das Magazin berichtet über diese Themen oft lange bevor sie Gegenstand der tagesaktuellen Medien werden. zenith versteht sich auch als Schmiede für junge Auslandsberichterstatter, die sich schwerpunktmäßig mit dem Nahen Osten und der islamischen Welt befassen. [...]

Täglich aktuell hingegen berichtet zenith auf www.zenithonline.de. Der gesamte Orient auf einen Klick: Wirtschaft, Politik, Gesellschaft und Kultur. Ein weltweites Netzwerk aus Journalisten berichtet vor Ort über die neuesten Entwicklungen und Geschehnisse.
Da ich gerade zuletzt einen Blogpost zu den neuen ethischen Fragen an den Islam durch Wissenschaft und Forschung verfasst habe, verlinke ich hier einen thematisch sehr passenden aktuellen Artikel von zenith:

Ein neues Jungfernhäutchen, bitte

Mai-Britt Wulf
Weltweit ist ein Anstieg der Hymenorrhaphie zu beobachten. Welche Motive treiben Frauen dazu, sich das Jungfernhäutchen wiederherstellen zu lassen und wie wird im Nahen und Mittleren Osten auf diese Entwicklung reagiert? [...]
Doch kommen wir nun zu dem Blogtitel und den Artikeln aus zenith, der der eigentliche Grund für meinen Post bilden. Ist doch diese Frage, wer bestimmt, was Muslime glauben gerade hochaktuell bezüglich der in Deutschland an einigen Universitäten neu geschaffenen bekenntnisorientiertem Studiengang Islamische Theologie, nach Vorbild der evangelischen und katholischen Fakultäten. Obwohl diese Ausgabe von 2010 ist, noch vor dem arabischen Frühling, zeigt sich doch die Qualität der Artikel daran, dass sie auch jenseits der Tagesaktualität interessant bleiben, Hintergründe erläutern, und einige auch ebenso heute wieder erscheinen könnten.

Kampf um den Islam

Das Ringen um Macht und Moral – eine Spurensuche von der Frühzeit des Islams bis zum radikalen Fundamentalismus heute

Los geht es mit einer Fotoserie:
Tee mit Terroristen

Wie resozialisiert man Gotteskrieger?
Saudi-Arabien versucht es im Umerziehungslager von Hayar auf die sanfte Art und Weise

Weiter geht es mit dem ersten interessanten Artikel:
Eine Religion im Belagerungszustand

Der Streit um den richtigen Glauben spaltet die Gemeinschaft der Muslime seit dem Tod des Propheten. Aber nie zuvor war die Deutungshoheit über den Koran so umkämpft wie heute. Dafür sind nicht zuletzt die westlichen Islam-Debatten verantwortlich

Der Kampf um den Islam begann am 15. März 2010. An diesem Tag weigerte sich eine Gruppe Gläubiger, die ihr auferlegten Pflichten zu erfüllen. Spannungen hatte es schon zuvor gegeben, nun trat das Zerwürfnis offen zutage. Es ging um Geld, aber auch um Macht und Ideologie; einige der Delinquenten betrachteten ihre Mission sogar als dschihad, als »heiligen Kampf«. Kurzzeitig sah es nach einem Sieg der Rebellen aus, doch dann verloren sie ausgerechnet ihren prominentesten Unterstützer. Die Auseinandersetzung führte schließlich zur Abspaltung der Gruppe, die sich einen neuen Namen gab und versprach, die ursprüngliche, ja »wahre« Mission fortzuführen. Dies zumindest kann man auf OnIslam.com nachlesen, das von der geschassten Redaktion des Internet-Portals IslamOnline.net seit kurzem betrieben wird. Zwischen den Redakteuren und ihrem damaligen Arbeitgeber war im Frühjahr ein bizarrer Machtkampf entbrannt. Die Website IslamOnline, eines der einflussreichsten Islam-Portale weltweit, gehört einer in Katar beheimateten Stiftung. Als die Inhaber die Verlagerung der redaktionellen Arbeit in das Golfemirat ankündigten und über Nacht die Passwörter wechselten, gingen die 330 Mitarbeiter in Kairo in Streik: Abgeschnitten vom Zugang zu ihrer eigenen Seite, besetzten sie ihrerseits über Wochen das Gebäude – letztlich erfolglos. [...]
Wer bis hierhin "lediglich" einen Artikel über einen lokalen Streit erwartet, der sollte weiterlesen, denn der Artikel behandelt weit mehr, wie die mitunter durchaus provokativen Zwischenüberschriften und Einschübe verdeutlichen:
  • 14 Jahrhunderte nach Muhammads Tod wirkt die Gemeinschaft der Muslime gespalten und führungslos
  • Es ist die zentrale Frage in einem Machtkampf um Glauben und Sünde: Wann hört ein Muslim auf, Muslim zu sein?
  • Wer bestimmt auf Dauer, was die mehr als eine Milliarde Muslime auf der Welt glauben sollen?
  • Ist der Kalif Uthman zu Recht getötet worden?
  • Verspätete Medienrevolution in der arabischen Welt
  • Selbst wie man einen Dschihad zu führen hat, ist unter Radikalen inzwischen umstritten
  • Die Schiiten – eine »lauernde Schlange«
  • Was Islam bedeutet, kann heute nicht mehr ohne den Westen diskutiert werden
  • Europa fungiert als Zerrspiegel für den Islam
Ihr seht schon, alleine diese Zwischentitel machen Lust den Artikel zu lesen...

Weiter geht es mit einem Interview eines der weltweit bedeutendsten Kenner der islamischen Theologie. Hoch aufschlussreich:
»Der Koran ist eine reformatorische Schrift«

Wann wurde der Islam zum Islam? Der Orientalist Josef van Ess im zenith-Gespräch über Prophetengenossen, verrückte Gnostiker und die Gebetsgymnastik der frühen Muslime

zenith: Herr van Ess, seit wann gibt es den Islam?
Josef van Ess: Diese Frage ist überhaupt nicht zu beantworten. Zumal man ja schon unterschiedlicher Meinung darüber ist, seit wann es den Koran gibt. Eines ist klar: Als es den Koran gab, gab es noch lange nicht den Islam.
zenith: Wie ist das zu verstehen?
Josef van Ess: Eine Religion braucht Generationen, bis sie weiß, warum sie da ist. Als Offenbarungsreligion hat der Islam bestimmte Grundvoraussetzungen: ein Gottesbild und die Notwendigkeit eines Stifters etwa. Aus diesen Voraussetzungen folgen Optionen. Und dann müssen Entscheidungen gefällt werden – was Zeit braucht, zum Teil Jahrhunderte.Durch diese Entscheidungen wird der Entscheidungsspielraum immer weiter eingegrenzt – sozusagen eine natürliche Erstarrung, die es bei allen Religionen gibt.
zenith: Häufig heißt es, der Islam brauche eine Reformation – einen »islamischen Luther«, um die Erstarrung aufzuhalten.
Josef van Ess: Ach, das ist doch ein alter Hut. Der Gedanke taucht schon im späten 19. Jahrhundert auf, und man hört es auch jetzt immer wieder. Dahinter steht der etwas amorphe Wunsch nach Reform, weil man mit der Gegenwart unzufrieden ist.Dabei ist schon der Koran eine reformatorische Schrift – insofern, als die älteren Religionen als Irrwege abgetan werden. Was natürlich eine Illusion ist: Der Koran ist nie zu den Anfängen zurückgekehrt. Aber dahinter steht vermutlich eine historische Erfahrung: Die Zeitgenossen des Propheten erlebten das Christentum nicht als einheitliche Religion, sondern als drei verschiedene »Kirchen«, die sich wüst beschimpften.
[...]
zenith: Sie zeichnen ein fast schon atomistisches Bild vom Islam.
Josef van Ess: Oder ich stelle das gängige Bild auf den Kopf. Die Pluralität steht am Anfang, die Einheit kommt später. Ein Fundamentalist würde es genau umgekehrt sehen. [...]
Zwischen den Artikeln kommen 18 höchst unterschiedliche Muslime zu Wort um zu definieren, was für sie "der Islam" sei.

Sonntag, 1. Januar 2012

Bioethische und gesundheitliche Herausforderungen für die islamische Welt: AIDS, Drogen und Reproduktionsmedizin

Das Auge nach Hunayn ibn Ishaq, ca. 1200
Ich finde die Errungenschaften in der arabischsprachigen mittelalterlichen Welt besonders im naturwissenschaftlichem Bereich höchst bemerkenswert und interessant. Hier habe bereits einige Einblicke und weiterführende Information dazu vorgestellt:

Islam und Wissenschaft. Ein Gegensatz? Gründe für den Niedergang der Blütezeit des Islams

Doch das ist Geschichte, in der Wissenschaft, in der Naturwissenschaft hat die arabische Welt, wie übrigens auch die meisten anderen Sphären außerhalb der europäisch-amerikanischen Welt - einschließlich Ostasiens abgesehen vom letzten halben Jahrhundert - nur wenig von sich Reden gemacht.

Doch wie begegnet heute die islamische Welt der Wissenschaft? Wie sieht sie unter religiösen Aspekten die Technologie, die ethischen Fragen, die sich auch hierzulande immer wieder neu den Kirchen aufgrund des technologischen Fortschritts stellen?

Dazu gab es 2007 eine höchst interessante und mitunter auch brisante Tagung:

Bioethische und gesundheitliche Herausforderungen für die islamische Welt:  
AIDS, Drogen und Reproduktionsmedizin


Beiträge eines wissenschaftlichen Kolloquiums am Asien-Afrika-Institut
der Universität Hamburg, 22. Juni 2007

Herausgegeben von Raoul Motika und Christian H. Meier
Redaktionelle Mitarbeit: Kamila Klepacki


Veranstalter: Lehrstuhl für Turkologie (Abteilung für Geschichte und Kultur des
Vorderen Orients / Asien-Afrika-Institut) an der Universität Hamburg in
Kooperation mit dem Heidelberger Centrum für Euro-Asiatische Studien
(HECEAS e.V.)



Den Tagungsband kann man komplett hier als PDF herunterladen - noch:

Tagungsband: Bioethische und gesundheitliche Herausforderungen für die islamische Welt: AIDS, Drogen und Reproduktionsmedizin


Aus dem Vorwort:

Globale Herausforderungen sind heute nicht mehr auf bestimmte Regionen oder Kulturen begrenzt. Dies gilt insbesondere für die Folgen des technologischen Fortschritts, aber ebenso für medizinische und gesundheitspolitische Probleme. So hat sich auch die islamische Welt mit den Implikationen der modernen Biotechnologie oder länderübergreifender Epidemien auseinanderzusetzen. Diese stellen die betroffenen Gesellschaften vor Herausforderungen, die für ihre Zukunft ebenso entscheidend sind wie politische und militärische Konflikte.
Gemeinsam ist diesen Problemfeldern, dass sie das Menschenbild der jeweiligen Kultur und der durch sie geprägten Gesellschaft in Frage stellen können. Gerade in der islamischen Welt wird die Debatte über Individualrechte versus gesellschaftliche Normen zunehmend heftig geführt. Verfügt ein Mensch als Individuum also über bestimmte Rechte wie dasjenige auf körperliche Unversehrtheit und Selbstverwirklichung oder hat er vorrangig als Mitglied einer Gemeinschaft bestimmte Grenzen und Normen zu respektieren, insbesondere bezogen auf die Bereiche Familie, Sexualität und „moralische Lebensführung“? Ein Großteil der heutigen Debatten um Körper, Gesundheit und Bioethik bewegt sich in diesem Spannungsfeld.
Während Diskussionen in Deutschland und der westlichen Welt von der Dichotomie einer christlich geprägten Ethik einerseits und der Artikulation wirtschaftlicher
Interessen andererseits dominiert werden, wissen wir immer noch wenig über den
Umgang anderer Religionen und Kulturen mit den ethischen (und rechtlichen) Bewertungen von Reproduktionsmedizin, Drogenkonsum oder AIDS. Die Fragestellungen, die sich in diesem Kontext stellen, sind von grundlegender und kulturübergreifender Relevanz: Wo verläuft die Trennlinie zwischen Erlaubtem und Verbotenem? In welchem Verhältnis stehen die individuelle und die gemeinschaftliche Sphäre zueinander? Wo beginnt und endet die Verfügungsgewalt des Menschen über biologische Grundlagen der Fortpflanzung, des Lebens und des Sterbens? Welcher Wert wird konkurrierenden sozialen Kategorien wie Bestrafung und Fürsorge jeweils beigemessen?
In den letzten Jahren haben sich einige jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Disziplinen, die sich entweder schwerpunktmäßig wie die Islamwissenschaft/Turkologie und Iranistik oder zumindest projektbezogen wie die Politikwissenschaft oder Ethnologie mit dem islamischen Kulturraum beschäftigen, auch gegenwartsbezogenen Themen jenseits der Tagesaktualität zugewandt. Eine Auswahl dieser jüngeren Kolleginnen und Kollegen wollten wir erstmals auf einer Tagung zusammenführen, was uns auch gelungen ist.

[...]