Freitag, 15. Oktober 2010

Maybrit Illner: Je gläubiger ein Muslim, umso gewaltbereiter?


strenggläubige Muslima, Pianistin
Es ist schon ein Kreuz. Kleine Anmerkung und Aufklärung zur gestrigen Talkshow Maybrit Illner. Ein typisches Beispiel, wie Medien mit ihrer Verantwortung zur seriösen Recherche kläglich versagt haben, getrieben von ihren eigenen Vorurteilen.

Es geht um ein Missverständnis von dem ansonsten von mir als intelligenten Menschen wahrgenommenen Bischof Wolfgang Huber. Demnach habe eine Studie des niedersächsischen Kriminologen Prof. Dr. Christian Pfeiffer angeblich festgestellt, dass bei Muslimen gelte, je gläubiger sie seien, desto gewaltbereiter seien sie auch. Bei Christen hingegen sei es genau andersherum: Je frommer, desto friedlicher. Dieses wurde von Bischof Huber mehr oder minder widerspruchslos in der Sendung erneut in den Raum geworfen.
Diese Widerspruchslosigkeit ist auch kein Wunder, wie schon Jörg Lau in seinem ZEIT-Blog in einem lesenswertem Beitrag feststellte. Vermutlich wird sich dieses Vorurteil, diese Fehldeutung der Studie von Pfeiffer auch nie mehr aus der Welt schaffen.



"Das Islambild in den Medien
(...) Ein jüngeres Beispiel: „Jung, muslimisch, brutal“ titelte Spiegel Online einen Bericht über die Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer zum Zusammenhang von Religi­ösität und Gewaltneigung.
  • Der Süddeutschen fiel zur gleichen Untersuchung die Zei­le ein: „Die Faust zum Gebet“.
  • blick.ch: „Macht Islam ag­gresiv? Jung, brutal — Muslim”,
  • Tagesspiegel: “Allah macht hart”,
  • heise.de: “Jun­ge männliche Macho-Muslime”,
  • Financial Times Deutschland: “Studie zu jungen Muslimen — Je gläubiger, desto gewalttätiger”,
  • Welt.de: “Studie — Gläubige Musli­me sind deutlich gewaltbereiter”,
  • Welt: “Muslime — Mehr Religiosität = mehr Ge­waltbereitschaft”,
  • Bild.de: “Junge Muslime: je gläubiger desto brutaler”,
  • Hamburger Abendblatt: “Junge Muslime: Je gläubiger, desto brutaler”.
  • ["Berliner Zeitung": "Je gläubiger, desto gewaltbereiter. Studie über junge Muslime in Deutschland"]
Das ist die Ausbeute der Schlagzeilen, und sie ist nicht einmal vollständig. In Wahr­heit steht in der Studie allerdings, dass es nur einen moderaten Anstieg der Gewaltbe­reitschaft bei jenen jugendlichen Muslimen gibt, die sich als „sehr religiös“ bezeich­nen. (Einzig der Tagesspiegel weist darauf hin und konterkariert so die reißerische Überschrift.) Und die Studie führt auch aus, dass für diesen Anstieg der Gewaltbereitschaft hauptsächlich außerreligiöse Gründe verantwortlich sind – eine Machokultur, die Zahl straffälliger Freunde oder der Konsum von gewaltverherrlichenden Medien zum Beispiel. Es gibt laut der Studie „keinen signifikanten Zusammenhang“ zwischen Re­ligiosität und Gewalt. Ich zitiere: (...)

Kein Effekt, nicht signifikant ausgewiesen, kein unmittelbarer Zusammenhang, nicht ausreichend belegt – so lautet die Schlußfolgerung der Studie.
Und dennoch kam es zu den zitierten Schlagzeilen.  Das ist ein journalistisches De­saster! Dass Muslime angesichts einer solchen Parxis von Islamophobie sprechen, kann ich verstehen.
So darf es nicht weitergehen!
Wie in diesem Fall aus einer Studie, die vorsichtig formuliert, eine Alarmmeldung über brutale junge Muslime gemacht wurde – im vollen Bewußtsein des Herrn Pfeif­fer übrigens, dem es offenbar lieber ist, falsch zitiert zu werden als gar nicht – das ist ein Lehrstück darüber, wie es nicht geht. (...)"
Hier kann man den interessanten Artikel weiter lesen:
Jörg Lau ZEIT-Blog: Das Islambild in den Medien

Auch das Bildblog fand diesen Widerspruch in den Medien, zu den Ergebnissen der Originalstudie und was in den Artikeln daraus gemacht wurde:
"Macht der Islam Jugendliche gewalttätig?

Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen KFN macht es Journalisten mit seinem jüngsten Forschungsbericht "Kinder und Jugendliche in Deutschland: Gewalterfahrungen, Integration und Medienkonsum" nicht leicht. Immerhin umfasst das unter Federführung von Institutsdirektor Prof. Dr. Christian Pfeiffer entstandene Mammutwerk, für das 45.000 Schülerinnen und Schüler befragt wurden, stolze 324 Seiten — und das ohne Such- und Kopierfunktion.
Da trifft es sich gut, dass das KFN — wie schon bei der kürzlich veröffentlichten Studie zur Polizeigewalt (BILDblog berichtete) — so freundlich war, auch eine zweiseitige Kurzzusammenfassung mit dem Titel "Religion, Integration und Delinquenz junger Menschen in Deutschland" zu erstellen. Dieser Kurzbericht konzentriert sich fast ausschließlich auf den Zusammenhang von Religiosität und Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen, der in der zugrunde liegenden Studie nur einen kleinen Teil ausmacht. Laut Pfeiffer liegt das daran, dass gerade zu diesem Aspekt neue Erkenntnisse gewonnen wurden. (...)

Auf Anfrage von BILDblog sagte Pfeiffer dazu: "Die Formulierung im Text der SZ ist offenkundig die Folge davon, dass man meine Aussage aus Platzgründen verkürzt wiedergegeben hat."

Dumm nur, dass die Kombination aus einer "verkürzten Aussage", einer unsachlichen Überschrift und enormer Recherchefaulheit längst den Siegeszug durch die Medien angetreten hat und so auch zu einem gefundenen Fressen für islamfeindliche Seiten und Blogs wurde. Denn obwohl in der KFN-Studie kein signifikanter Zusammenhang zwischen Gewalttätigkeit und dem Islam festgestellt werden konnte, rauschte es im Blätterwald so: (...)"
Bei Bildblog werden noch detaillierter die Zahlen und die Diagramme kurz erläutert, wer es etwas genauer wissen möchte. Ansonsten kann man oben im Link des Bildblog sich die Studie selber zu Gemüte führen.

Wie konnte dieser Journalisten-GAU eigentlich passieren? Wann tritt jemand den Worten des Bischofs Huber entgegen, nicht wie es Aiman Mazyek, Chef des Zentralrats der Muslime, tat, sondern mit obigen Kenntnissen? Vielleicht sollte jemand den Bischof Huber direkt anschreiben und ihn aufklären, damit er in der nächsten Gelegenheit aufklärerisch wirken kann. Denn dieses Vorurteil ist seitdem fest im Feinbild oder den Vorstellungen über die Muslime in Deutschland verankert.

Update: Ich habe eben in der Mediathek nochmal die Stelle mir angehört, wo Huber die Pfeiffer-Studie zitierte. Obiger Eindruck von mir ist nicht so ganz richtig, als ich meinte, "mehr oder minder widerspruchslos" wurde diese Studie zitiert. Aiman Mazyek widerspricht ihm durchaus vehement. Diesen Teil der Talkshow habe ich gestern nicht gesehen, und mich auf etliche TV-Kritiken beim Verfassen dieser Erinnerung an die tatsächlichen Ergebnisse der Studie bezogen. In eben jenen Kritiken wurde der Aussage von Huber bezgl. der Studie nicht widersprochen, noch wurde Mazyeks Erwiderung abgedruckt, daher der schiefe Eindruck, den ich in diesem Punkte erhielt.


(Bildquelle: Wikipedia Commons)

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