Montag, 25. Oktober 2010

Brandanschlag auf Moschee und das Unwohlsein von Muslimen



Taj Mahal in Indien

Ich las letztens, dass mal wieder eine Moschee Ziel eines Anschlags war. Bezeichnenderweise nur eine winzige Pressemeldung wert. Es gibt auch Schmierereien, Grabschändungen, "Schweinefleisch-Attacken", usw. die es nie in die Medien schaffen und von denen man wenn überhaupt nur auf den jeweiligen Moschee-Internetseiten etwas erfährt.
"Die Moschee im elsässischen Haguenau ist durch Brandstiftung leicht beschädigt worden. (...) Die Feuerwehr habe den Brand gelöscht. (...)  Zugleich rief er [der Ratsvorsitzende der örtlichen Muslime] die Bürger im Elsass auf, gemeinsam gegen "diese Ideologie des Hasses" Stellung zu beziehen; die Muslime ihrerseits sollten sich von solchen Taten nicht provozieren lassen, sagte der Ratsvorsitzende."

komplett hier:
Stern.de

Das Muslime Opfer alltäglicher Diskriminierung oder auch nur stigmatisierendem Verhaltens durch die Mehrheitsgesellschaft werden, ist nichts Neues. Manchmal werden diese auch in den Medien publiziert.
Kopftuchtragende Frauen können nicht selten davon ein Lied singen, manchmal sind ihre Erlebnisse geradezu Realsatire, wie in diesem Beispiel:
"Mit dem gelatinefreien Joghurt bewaffnet stehe ich an der Kasse. Ich bin an der Reihe. 1,99 bitte – Ich gebe ihr das Geld und bedanke mich für den Bon. "Na, sie sprechen ja gut deutsch." – Ja, vielen Dank. (Okay, wusste nicht, dass man einen so hohen Grad an Deutschkenntnissen für ein "Danke" und "Bitte" braucht. Aber egal. Einfach annehmen. Für Rechtfertigungen ist jetzt keine Zeit.) "Wo kommen sie denn her?" – Aus der Schule (Ist mir schon klar, worauf sie hinauswollte. Aber irgendwann hat man es auch satt.) "Nein, ich meine, wo sind sie geboren?" – In Hamburg. "Oh, das kenne ich gar nicht." (Sie kennt HAMBURG nicht!?) Arme Frau, dachte ich, scheint nicht viel rumgekommen zu sein. Noch ehe ich etwas sagen konnte, spricht sie weiter: "Haaaambuag – Wo genau in der Türkei liegt denn das?"
komplett:
Deutsche Welle: "Haaambuag – Wo in der Türkei liegt denn das?"

Solche Erlebnisse sind kein Einzelfall. Fast jeder Migrant, besonders Muslime (bzw. Menschen, die Namen und/oder Aussehen aus dem Nahen Osten haben), haben nicht erst seit Sarrazin ähnliche Erlebnisse gemacht. Dabei ist auch ein vermeintlich gut gemeintes Lob, zum Beispiel das schon fast obligatorische Lob über die gute Sprachkentniss des Deutschen, ein ausgrenzendes Verhalten. Eine Bestätigung eigener Vorurteile, dass man als "Deutscher" meint, die Migranten würden per se schlecht deutsch sprechen, und man umso überraschter ist, dass es doch welche gibt, die nicht nur "grunzen"...

Diese alltäglichen Erfahrungen von Deutschen türkischer Herkunft machen beileibe nicht nur Frauen mit Kopftuch, sondern auch bestens integrierte Menschen der Oberschicht, wie z.B. dieser Politologe in einem interessantem Interview verdeutlicht:


""Andere europäische Länder sind attraktiver als Deutschland"

Mehmet Öcal, der in Deutschland aufgewachsen ist, über die Gründe, warum er nach dem Studium in die Türkei ausgewandert ist und wie er die Integrationsdebatte beurteilt


In der aktuellen Integrationsdebatte wird immer wieder von konservativer Seite betont, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist, ohne zu merken, dass mittlerweile etwa mehr Türken aus- statt einwandern. In Zeiten, in denen in Deutschland ein großer Fachkräftemangel herrscht, sehen gerade gut ausgebildete junge Türken in der Türkei bessere Zukunftsaussichten, wie etwa der promovierte Politologe Dr. Mehmet Öcal. (...)

Herr Dr. Öcal, Sie sind in Deutschland aufgewachsen und haben auch dort studiert. Nach Ihrer Promotion sind Sie in die Türkei gegangen. Was waren die Gründe hierfür? 

Mehmet Öcal: Nach der Promotion habe ich eine Zeit lang an der Universität Bonn unterrichtet. (...) und dann haben wir beschlossen, in die Türkei auszuwandern. Denn wie die meisten muslimischen Migranten fühlten wir uns durch das entstandene Lebensklima nach dem 11. September recht unwohl. Da ich und meine Frau gesellschaftlich aktiv waren, spürten wir dieses Unwohlsein unmittelbar. Obwohl wir in Deutschland aufgewachsen waren und dieses Land liebten, haben wir uns für das Leben in der Türkei entschieden. (...) 

Welches Bild hat man dabei in der Türkei von Deutschland nach der Sarrazin-Debatte? 

Mehmet Öcal: Das positive Bild der Türken über Deutschland ist seit den Anschlägen von Mölln und Solingen stark beschädigt. Die so genannte deutsch-türkische Freundschaft aus dem Ersten Weltkrieg ist passé und für viele Türken ist Deutschland seit langem kein gelobtes Land mehr. Durch die außenpolitische Öffnung der Türkei sind die Türken an afrikanische, lateinamerikanische und südostasiatische Staaten interessiert. Für sie ist "Old Europe" nicht attraktiv genug. 
Für die Türken in der Türkei waren türken- und islamfeindliche Tiraden von gewissen Autoren wie Udo Ulfkotte und Rolf Stolz seit geraumer Zeit schon negativ registriert worden, aber dass ein hoher Bürokrat, also ein Präsidiumsmitglied der Deutschen Bundesbank, diskriminierende und diffamierende Aussagen gegen die Muslime/Türken betätigt, dies wird das ohnehin wacklige Image der Bundesrepublik nachhaltig beschädigen. 

Wie bewerten Sie persönlich die jüngste Zuspitzung der Debatte? 

Mehmet Öcal: (...) Die negativen medialen Berichte gaben dann den Rest. So wird über die Köpfe von benachteiligten Gruppen in der deutschen Gesellschaft Politik gemacht. Gerade die Politiker müssten wissen, dass Integration ein Nehmen und Geben bedeutet und ein langwieriger Prozess ist. (...) Ich wünsche mir, dass diese wichtige Debatte wieder ohne Polemik, ohne Populismus und vor allem sachlich diskutiert wird. Zum Glück haben wir in Deutschland auch besonnene Politiker. 

Können Sie sich überhaupt noch einmal vorstellen nach Deutschland zurückzukehren? 


Mehmet Öcal: Derzeit können wir uns das nicht vorstellen. Wir haben uns in der Türkei recht gut eingelebt. Uns geht es gut hier. Zu Forschungszwecken für meinen Beruf und zum Urlaub kommen wir schon nach Deutschland. Aber ehrlich gesagt, wir möchten uns diesem psychologischen Druck nicht noch einmal aussetzen. Wenn man wieder und wieder für die Untaten Anderer verantwortlich gemacht wird und man sein Türken- und Muslimsein immer aufs Neue rechtfertigen muss, hört irgendwo der Spaß auf. Hier in der Türkei haben wir sicherlich auch Probleme mit alltäglichen Dingen im Leben, aber keiner nervt uns mit derartigen provokanten Fragen. Wir haben hier unsere Ruhe gefunden und haben abgesehen von einigen anderen Dingen insgesamt eine bessere Lebensqualität. 

(...) Ist Deutschland noch ein attraktives Ziel für gut ausgebildete junge Türken? (...)"
komplett auf:
Telepolis

Das ist ein zunehmend brisanteres Problem, angesichts des immer ernster werdenden Themas des Fachkräftemangels. Selbst Akademiker türkischer Herkunft, die hier aufgewachsen und sozialisiert sind, überlegen immer häufiger, ob sie nicht auswandern sollten. Nicht nur in die Türkei übrigens, manchmal einfach nur weg von hier!
Warum wohl? Warum sich z.b. in der Türkei wirtschaftlich nicht selten schlechter stellen? Warum auf die oft bessere Bezahlung in Deutschland verzichten? Nicht nur, weil Karriereverläufe in anderen Ländern nicht davon abhängen, ob man Ali oder Mustafa statt Hans oder Jean-Pierre heisst.
Weil es ein allgemeines Klima in Deutschland gibt, welches zwar durchaus gastfreundlich sein kann, wie wir alle bei der WM 2006 erleben durften. Sobald es aber um ein Miteinander auf Dauer geht, zeigt die Mehrheitsgesellschaft viel zu häufig nicht nur Kälte, sondern offene Ablehnung besonders den Muslimen gegenüber. Diese Ablehnung nimmt mit zunehmender Bildung normalerweise ab, und wird öfters ersetzt durch wohlmeinende "positive Diskriminierung". Aber auch damit wird letztlich abgegrenzt, man gehört dann wieder in dem Moment zu den "Anderen", was zeigt, wie beherrschend die Vorstellung im Lande ist, was es heißt, ein Deutscher zu sein. Oma und Opa lassen noch immer manchmal grüßen, was ich in dem letzten Abschnitt des Postings "In den Spiegel der ausländerfeindlichen Deutschen geschaut" schon thematisierte.

Selbst wenn der Fachkräftemangel von einem Teil der neoliberalen Lobby dazu genutzt wird eigene Verantwortlichkeiten von sich zu weisen, so wird es dennoch ein immer dringenderes Problem werden. Und was viele verkennen: Es geht nicht nur um hochqualifizierte Arbeitsplätze, sondern es geht um viele weitere Arbeitsplätze, auch im Niedriglohnsektor, die gleichzeitig geschaffen würden, könnte man Aufträge annehmen, wenn man das entsprechende hochqualifizierte Personal hätte. Jedes Jahr gehen Deutschland damit Milliarden Einnahmen und volkswirtschaftlicher Wohlstand verloren - Richtung Asien und Amerika.
(Wer einige Argumente und Fakten kennenlernen möchte, der schaue sich bitte die Phoenix-Runde an, besonders diejenigen von Oliver Koppel, die anderen bringen eher weniger argumentativ Interessantes)

Daher muss sich alsbald nicht nur das Klima in Deutschland, die Willkommenskultur grundlegend ändern, sondern es muss von den Medien und der Politik in nächster Zukunft auch dem Hartz-4-Empfängern am Stammtisch plausibel gemacht werden, dass wir nicht mehr ängstlich über "Einwanderungsfluten" reden dürfen, sondern das wir nur dann den Hartz-4-Empfängern eine Chance auf langfristige Wiederbeschäftigung bieten können, wenn wir den künftigen hochqualifizierten Migranten sogar Prämien von einigen Zehntausend Euro bieten, wenn sie uns helfen würden im globalisierten Wettbewerb der Nationen.
Heute gäbe es einen medialen Aufschrei, würde man mit einem Prämienmodell ausländische Fachkräfte anwerben wollen. Doch wer die Zeichen der Zeit erkannt hat wird schnell feststellen, dass es schon sehr bald genau darauf hinausläuft, wenn wir noch einige Jahre unseren Wohlstand behalten wollen. Es ist also auch im ureigensten Interesse der Unterschichten Deutschlands, wenn sie ihre Xenophobie mithilfe der Politik und besonders der Massenmedien abzubauen lernt.
Wahrscheinlich entsteht erst dann in Deutschland eine bisher nie wirklich vorhandene Willkommenskultur, wenn es ans Eingemachte, an den schnöden Mammon im Portemonnaie des Ottonormal-Bürgers geht.
Der wird künftig nur gesichert werden, wenn nicht nur Politologen wie Mehmet Öcal im Lande bleiben wollen, sondern noch viele viele weitere hinzukommen werden

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